Körperliche Nebenwirkungen der Frühkastration können sein:
Wachstumsstörungen oder -verzögerungen: Durch den Hormonschub in der Pubertät wird das Längenwachstum der langen Röhrenknochen abgeschlossen. Befinden sich die entsprechenden Hormone in einem frühen Entwicklungsstadium in zu geringer Menge im Stoffwechsel, kann es, je nach Rasse, zu Größenwachstum oder Kümmerwachstum kommen.
Anfälligkeit für Skeletterkrankungen: Durch den Mangel des Sexualhormons Testosteron werden beim Rüden die Muskeln schwächer ausgebildet. Infolgedessen wird das Bindegewebe stärker beansprucht, was die Anfälligkeit für Erkrankungen des Bewegungsapparates erhöhen kann. Bei Hündinnen kann es (auch bei Kastration nach der Pubertät) zu Mineralstoffwechselstörungen bis hin zu Knochenveränderungen kommen. Einer Studie zufolge erkranken kastrierte Hunde beiderlei Geschlechts häufiger an Knochenkrebs als unkastrierte, wobei das Erkrankungsrisiko aber sehr gering ist.
Kastration als Prophylaxe
Häufig wird geraten, Hündinnen vor der ersten Läufigkeit kastrieren zu lassen, um Gesäugetumoren vorzubeugen.
Unterschiedlichen Studien zufolge erkranken – je nach Alter und Rasse – zwischen 2 von 1.000 und 2 von 100 Hündinnen an solchen Mammatumoren. Etwa die Hälfte der Tumore sind bösartig, 75 Prozent der Hündinnen überleben nach einer Operation.
Je früher ein Mammatumor erkannt wird, desto besser. Deshalb sollte das Gesäuge wöchentlich auf Knoten untersucht werden, auch bei kastrierten Hündinnen.
Wird vor der ersten Läufigkeit kastriert, sinkt das eh schon geringe Erkrankungsrisiko verschiedenen Studien zufolge gegen Null. Ist dies ein Argument für die Kastration? Dr. Axel Wehrend von der veterinärmedizinischen Universität Gießen gibt zu bedenken: „Im Gegensatz zur präpubertären Kastration ist der Ansatz, über die Ernährung eine Prävention zu betreiben, weder in der veterinärmedizinischen noch in der von Hundehaltern geführten Diskussion zu diesem Thema zu hören. Dies erstaunt, da im Gegensatz zur Kastration keine unerwünschten Effekte wie Harninkontinenz und Unterentwicklung der sekundären Geschlechtsmerkmale zu erwarten sind.“
Wehrend und anderen Autoren zufolge haben eine Reihe von Studien nachgewiesen, dass eine fett- und eiweißreiche Ernährung beziehungsweise Übergewicht im ersten Lebensjahr zur Bildung von Mammatumoren führen.
Werden einer Hündin bei der Kastration nicht nur Eierstöcke, sondern auch die Gebärmutter entfernt, kann sich die Gebärmutter nicht mehr entzünden.
Unterschiedlichen Studien zufolge erkrankt jede fünfte bis zehnte Hündin im Laufe ihres Lebens an einer Gebärmutterentzündung, wie viele daran sterben, ist unbekannt.
Bei unkastrierten Hündinnen ist es wichtig, auf frühe Alarmzeichen zu achten. Wenn die Hündin dauernd Durst hat, oder sie sich öfter leckt, sollte ein Tierarzt aufgesucht werden. Ein spätes Alarmzeichen ist ein dicker werdender Bauch bei geringer Nahrungsaufnahme.
Über hormonell beeinflusste Erkrankungen beim Rüden redet kaum jemand, obwohl es solche durchaus gibt. Wenn Rüden aufgrund einer medizinischen Indikation kastriert werden, dann meist wegen chronischer Vorhautentzündung. Sie verschwindet nach einer Kastration. Dabei ist vorher zu bedenken, wie stark die Beschwerden sind und mit welchen Nebenwirkungen nach einer Kastration zu rechnen ist.
Zusammenfassung Pro und Kontra
Pro
Neben medizinischen Indikationen – unter anderem Mammatumore oder schwere chronische Vorhautentzündungen – gibt es auch Verhaltensauffälligkeiten, bei denen eine Kastration Abhilfe schafft.
Zum Beispiel bei Hündinnen, die ausschließlich während der Scheinschwangerschaft extrem aggressiv sind, und bei aggressiven Rüden, wenn sich die Aggressionen ausschließlich gegen sexuelle Konkurrenten richten.
Schließlich gibt es auch hypersexualisierte Tiere, die nach einer Kastration ein stressfreieres Leben führen können.
Wer Hunde verschiedenen Geschlechts zusammen hält, kann statt einer Kastration auch die Sterilisation (des Rüden) wählen.
Kontra
Bestimmte Erkrankungsrisiken lassen sich durch Kastration verringern, doch dafür sind Nebenwirkungen in Kauf zu nehmen, wie etwa vermehrter Hunger nach der Kastration, Skeletterkrankungen bei früh kastrierten Hunden oder Harninkontinenz, vor allem bei Hündinnen. Verschiedenen Studien zufolge tröpfeln zwischen 10 und 25 Prozent der kastrierten Hündinnen; einige große Rassen, wie beispielsweise Boxer sind besonders stark betroffen.
Wie eine Kastration das Verhalten beeinflusst, ist hingegen schwer vorhersehbar. Es ist wichtig, vorher zu klären, ob unerwünschtes Verhalten hormonell beeinflusst auftritt oder andere Ursachen hat.
Bei einer Angstaggression zum Beispiel ist eine Kastration kontraproduktiv, weil sich die Aggressionen noch verstärken können. Als Ursache wird vermutet, dass kastrierte Hunde nicht mehr nach erwachsenem Hund riechen, von Artgenossen nicht mehr ernst genommen werden und deshalb mit angstbedingten Aggressionen reagieren.
Jagdverhalten, allgemeine Unruhe, Territorialaggressionen und Störungen in der Beziehung zwischen Hund und Halter unterliegen nicht dem Einfluss der Sexualhormone.
Selbst scheinbar eindeutig sexuell motivierte Verhaltensweisen müssen bei Rüden nach einer Kastration nicht verschwinden. Wenn sie aus Langeweile streunen oder gelernt haben, durch Rammeln Spannungen abzubauen oder Lust zu empfinden, hören sie damit nach einer Kastration nicht auf.
Quelle: WDR Servicezeit Tiere, Sendung Tiere suchen ein Zuhause vom 13.12.2009.