Im Rahmen der 21. Kynologischen Diskussionstagung in Fellbach, (29. - 30. Januar 2000) hat Prof Dr. P.Srenk, Brünn einen Vortrag über "Epilepsie bei Hunden" gehalten . Frau Zimmermann hat hierzu folgendes protokolliert:
Während eines epileptischen Anfalls kommt es zur unkontrollierten elektrischen Entladung einzelner Nervenzellen. Diese anomal aktiven Zellen können andere Zellen beeinflussen. Die Therapie sollte frühzeitig einsetzen, denn das Gehirn sollte so wenige Anfälle wie möglich durchmachen.
Symptome: Es gibt ein verwirrend großes Spektrum. Vom Zittern eines Ohres bis zum großen Krampfanfall mit Absatz von Urin, Kot und Speichel ist alles möglich. Man kennt Anfallsformen, bei denen der Hund nur zittert, ohne das Bewusstsein zu verlieren. Manche Hunde sind nur motorisch gestört, haben Muskelzuckungen oder stehen auf der Stelle. Die sinnliche Wahrnehmung des Hundes ist schwer zu beurteilen. Einige sind ängstlich, werden kontaktscheu. In bezug auf die vegetative Funktion beobachtet man häufig weit aufgerissene Augen, Speichelfluss, Durchfall.
Viele Hunde entwickeln vor dem Anfall eine "Aura", sie scheinen zu spüren, dass etwas geschehen wird. Oft suchen diese
Tiere ihren Besitzer auf und manchmal gelingt es diesem, durch freundlichen Kontakt den Anfall zu verhindern.
Nach dem Anfall tritt meist eine Dämrnerungsphase ein. Sie kann unterschiedlich lange anhalten. Insbesondere bei großen Hunden kumulieren die Anfälle manchmal, es folgen zehn bis fünfzehn aufeinander. Dann ist die Phase danach entsprechend für längere Zeit, vielleicht sogar über Tage hinweg, abnormal.
DefInition: Für uns ist bedeutsam die funktionelle, idiopathische, genuine Epilepsie. Bei vielen Rassen ist sie genetisch bedingt, also durch züchterische Maßnahmen beeinflußbar.
Zwei Gruppen werden beschrieben: "Primär", d. h. die Anfälle haben ihren Sitz im Gehirn. Das kann bedeuten
a) eine gehirnorganische Erkrankung (z.B. Tumor, Infarkt, Narbe als Posttrauma, Ezephalitis, Staupe) liegt vor,
b) idiopathisch, d. h. alle Zellen sind unauffällig, funktionieren aber trotzdem nicht immer korrekt.
"Sekundär" bezeichnet man Anfalle, deren Ursache außerhalb des Gehirns zu suchen ist, z. B. Hypothyreose, metabolisch-
toxische Erkrankungen, Nieren und Nebennierenrindenanomalien, Pankreas, Herz und Vergiftungen.
Es muß also zunächst eine Ausschlußdiagnose gestellt werden, die alle anderen Krankheiten eliminiert.
Symptomatische Epilepsie: Jede Rasse in jedem Alter kann betroffen sein. Zwischen den Anfallen zeigen die Hunde meist bestimmte Symptome, schließlich haben sie ja eine ständig präsente Krankheit - entweder im Körper oder im Gehirn. Die Regelerkrankung ist immer da und kann Funktionen durchgehend beeinflussen. Wenn das festgestellt wird, ist die diopathische Epilepsie auszuschließen.
Diagnostik: Zunächst erfolgt eine klinisch- neurologische Untersuchung. Falls das Resultat abnormal ist, besteht der Verdacht einer Krankheit, die die Anfalle verursacht. Ausnahme: 24-36 Stunden nach einem Anfall zeigt auch ein gesundes Gehirn (und bei idiopathischer Epilepsie handelt es sich um ein solches) noch Abnormalitäten bei der Untersuchung. Dann muß die Untersuchung 48 Stunden nach dem letzten Anfall wiederholt werden.
Blut- und Urinuntersuchungen geben Aufschluß über das Körperinnere und metabolisch toxisch bedingte Erkrankungen.
Die enorme Energieleistung während eines Anfalls spiegelt sich im Körperinneren wieder. Es gibt auch hier abnorme Grenzwerte, die auf gewisse Krankheiten oder organische Schäden hinweisen. Die Liquoruntersuchung prüft das innere Ventrikelsystem des Gehirns. Bei der idiopathischen Epilepsie ist die Gehirnflüssigkeit unverändert. Bei Abnormitäten in der "Chemie" des Hundes werden weitere Untersuchungen fällig: Röntgen, Ultraschall, Biopsien etc.
Hilfreich ist das in der Tiermedizin eher selten eingesetzte EEG.Findet man im Grundmuster gehäufte, spezielle "Spikes", sind sie ein Ausdruck der idiopathischen Epilepsie. Sie dokumentieren die anomale Aktivität, die zwischen den Anfällen besteht, aber zu schwach ist, um Anfälle auszulösen.
Epilepsie ist bei zwölf Rassen genetisch nachgewiesen. Es gibt aber 47 andere Rassen (und Mischlinge), bei denen die idiopathische Epilepsie beschrieben wird. Studien zur Erblichkeit liegen hier (noch) nicht vor. Die idiopathische Epilepsie
ist in der Population nicht dominant vererbbar. Auch gesunde Tiere können die Krankheit an Nachkommen übertragen. Sie zeigt ein rezessives Verhaltensmuster und wird von beiden Elternteilen weitergegeben. Wahrscheinlich sind mehrere Gene im Spiel. Ein Schwellenmuster ist anzuehmen. (Eine Schwelle im Gehirn ist vorhanden, es besteht eine Neigung zu Anfällen. dann genügen gewisse Außenreize, wie z. B. Stress, Lärmetc., um Anfälle auszulösen.)
Früher galt als typisch für die idiopathische Epilepsie, daß der erste Anfall zwischen einem und drei Jahren erfolgte und daß alle Anfälle generalisiert waren. Heute weiß man, daß manche Hunde ihren ersten Anfall zwischen acht Monaten und fünf Jahren haben. Außerdem verlaufen mehr als zehn Prozent der Anfälle fokal, also nicht generalisiert.
Therapie der diopathischen Epilepsie: Im akuten Fall ist eine Kurztherapie angesagt. (Ein Epileptiker ist immer ein Notfall!) Vorallem bei großen Rassen kann es zu einem Status Epilepticus kommen: Anfälle dauern mehrere Stunden an und können zum Tod führen. Die Kurztherapie ist eine Notfallmaßnahme, große Medikamentendosen werden eingesetzt, denn die Anfälle müssen um jeden Preis gestoppt werden. Bis der Hund sich danach wieder normalisiert, kann es Tage bis Wochen dauern. Medikamente zur Kurznarkose oder Sedation sind als Kurztherapie kontraindiziert! Ein erfolgreiches Mittel ist hingegen Diazepam. Das gibt es auch als Zäpfchen (wirkt schneller als Tabletten). Es darf nicht auf Dauer verabreicht werden, weil der Hund sich schnell anpaßt.
Wenn die akute Phase überwunden wurde, muß die Langzeittherapie einsetzen. Phenobarbital und Kaliumbromid sind die Mittel der Wahl. Falls beide nicht funktionieren, ist die Therapie schwierig.
Epilepsie ist nicht heilbar. Man kann sie nur therapeutisch beeinflussen oder bremsen. Nur ca. 20 % der Hunde bleiben auf Dauer anfallsfrei. Alle andern bekommen hin und wieder Anfälle, wobei die Intervalle sehr unterschiedlich sein können. Mit einer lebenslänglichen Langzeittherapie will man erreichen, Anzahl und Schweregrad der Anfälle zu reduzieren und die Periode zwischen den Anfällen zu vergrößern. Die Reduktion auf vier Anfallstage pro Jahr ist als guter Therapieerfolg zu werten.
Aus der Diskussion:
Kastration ist nur anzuraten, wenn feststeht, daß die sexuelle Erregung Auslöser für Anfälle ist.
In einem EEG sind die sogenannten "Spikes" nicht immer nachzuweisen. Es kann nämlich sein, daß der zu dokumentierende Zustand just dann eintritt, wenn man gerade nicht untersucht.
Bei der Liquoruntersuchung ist ein Tumor nicht mit Sicherheit auszuschließen.
Ein Screening-Verfahren ist vorläufig nicht zu erwarten. Die Molekulargenetik wird das Mittel der Zukunft sein.
Die Zuchtwertschätzung kann - wegen der noch nicht sicheren Diagnostik - bislang nichts bewirken. Dennoch ist es von
Vorteil, Daten zu sammeln.
Wie hoch ist die Lebenserwartung? 70-80% der therapierten Hunde sind kontrollierbar (etwa vier Anfallstage pro Jahr). Diese Hunde erreichen meist das in der Rasse übliche Alter.Andere haben ein kurzes Leben. Manche Hunde sind
nicht zu stabilisieren und sterben innerhalb von Tagen. Einige müssen euthanasiert werden.