Hi All,
Durch gräßliche Ausbildungsmethoden bekam das Wort "Zwang" bei vielen heutzutage einen bitteren Beigeschmack und wird nun mit Brutalität und Ungerechtigkeit in Zusammenhang gebracht. Zwang muß auch nicht unbedingt physischer Art sein. Mein Gewissen, z. B., zwingt mich, dem Hund gegenüber nicht brutal und ungerecht zu sein. Ein Hund im Rudel wird gezwungen, sich einer gewissen Hierarchie zu unterwerfen. Inwieweit dieser Zwang dann physischer oder psychischer Art ist, kommt zum großen Teil auf den Hund an.
Fest steht Folgendes:
1) Je mehr der Hund seinem Führer vertraut und ihn respektiert - nicht fürchtet - desto weniger Zwang ist später in den einzelnen Übungen nötig. Das Bild, wo der Hund vor Angst fast hinten einknickt und dennoch "stur" ist - was dann in noch mehr Brutaliät seitens des Hundeführers resultiert, kennen wir leider alle. Fakt ist aber, daß der Hund im hohen Stress — genauso wie wir — nichts richtiges lernen kann, und daß gegen Gehorsam, der ausschließlich erzwungen ist, meistens rebelliert wird.
2. ) Je öfter und je länger mit ausschließlich positiver Motivation geübt wird - und je früher damit angefangen wird - d.h., je besser der Hund VORBEREITET ist, desto weniger Zwang jeglicher Art ist später nötig. Hier ist Geduld und Zeit notwendig. Keine Trainingsmarathons, sondern viele kleine Übungen täglich. Wenn der Hund z. B. 600 Mal fehlerfrei mit positiver Motivation und unter relativ geringer Ablenkung (allein auf einer schönen Wiese z. B.) die Übung ausführt, dann klappt das Absichern der Übung mit erstaunlich wenig Zwang, wie z. B. ein schärfer und lauter gegebenes Hörzeichen oder ein kleiner Ruck am Normalhalsband.
Der Hund lernt also zuerst, WIE eine Übung auszuführen ist, und lernt auch gleichzeitig, daß dieses angenehm ist und Spaß macht. Erst dann — viel später — lernt er mit etwas Zwang, WANN er diese - ihm angenehme - Übung auszuführen hat. Die Ablenkung bei der Übung wird ganz langsam erhöht. Nicht von Wiese auf Hundespielplatz - das geht natürlich schief. Man klimpert ja auch nicht Tonleitern und erwartet, daß der nächste Schritt eine Beethoven Sonate wird.
3) Klappt das Absichern nicht mit ganz wenig Zwang, ist es wahrscheinlich, daß der Hund die Übung nicht richtig beherrscht. (Die Ausnahme wäre hier, wenn es sich um ein freches, falsch sozialisiertes kleines Luder handelt, das absolut keinen Respekt und keine Treue gegenüber seinem Frauchen zeigt. Der Hund muß dann erst mal sozialen Nachhilfeunterricht bekommen, bevor man mit der richtigen Ausbildung anfängt. Aber das ist ja hier wohl nicht der Fall).
4.) Wenn der Hund nicht zu lernen scheint, muß man die Lehrmethode ändern und den Bedürfnissen des Hundes anpassen. Es ist töricht, konsequent etwas durchzuziehen, was wenig erfolgversprechend ist. Unsere Hunde sind ja nicht dumm. Mit der richtigen Methode zeigen sich Teilerfolge sehr schnell - oftmals sofort. Wenn's nicht klappt - umdenken. Vielfach zeigen schon geringe Änderungen des Denkansatzes gute Erfolge. Wenn der Hund zu kapieren scheint, baut man ganz allmählich die gegebenen Hilfen ab, bis der Hund die Übung nur auf Hörzeichen ausführt - und erst dann kommt die Belohnung. Und dann führen Zeit, Zeit, Geduld, Geduld und liebevolle Konsequenz zum guten Endziel.
5.) Wenn der Hund die Übung häufig (nicht nur ein- oder zweimal!) von selbst anbietet, ist die erste große Hürde übersprungen. Der Hund hat nun kapiert, wie und was er tun muß, um belohnt zu werden. Jetzt kann man mit leichtem Zwang anfangen. So lernt der Hund: Platz ist toll, aber nicht optional. Und dann erhöht man langsam die Ablenkungen.
Einfache Antworten auf die meisten Ausbildungs- und Erziehungsfragen gibt es eben nur ganz selten.
Viel Erfolg!
Vera