Leinenruck!!
Bereits seit mehreren Jahren arbeiten sowohl einige meiner Kollegen/innen im ge-
samten Bundesgebiet, als auch ich im Hundetraining fast ausschliesslich mit dem
Brustgeschirr und nicht mehr, wie in der traditionellen Hundeerziehung üblich, mit
dem Halsband. Leider hört man dazu immer noch vorgefasste Meinungen wie
z.B.: "Mit Brustgeschirr zieht der Hund doch erst richtig an der Leine" oder auch:
"Mit einem Brustgeschirr kann ich einem Hund doch nichts beibringen" In manchen
Hundeschulen ist das Tragen eines Brustgeschirrs gar nicht erst erlaubt. Diese Auf-
fassungen beruhen immer noch auf der irrigen Annahme, man könne einen Hund nur
mit Hilfe des Leinenrucks erziehen. Die moderne Hundeerziehung kommt allerdings
schon lange und auch sehr gut ohne das veraltete Hilfsmittel “Leinenruck” aus.
Es gibt zahlreiche Gründe, auf die Benutzung von Halsbändern, insbesondere von
schmalen Halsbändern, Kettenhalsbändern oder sogar Stachelhalsbändern zu ver-
zichten.
1. Ein gut sitzendes Brustgeschirr schont die Halswirbelsäule Ihres Hundes. Sie
sollten sich verdeutlichen, dass die Wirbelsäule eines Hundes genauso aufgebaut
ist wie die menschliche. Wird im Training mit z.B. einem Kettenhalsband und mit
Leinenruck gearbeitet kann es passieren, dass der vom Halsband ausgehende
Druck genau zwischen 2 Wirbeln abgefangen wird, was je nach Stärke der
Einwirkung bis hin zu Bandscheibenverschiebungen führen kann. Viele HWS-
Erkrankungen bei Hunden finden hier ihren Ursprung.
2. Kehlkopf und Halsmuskulatur bleiben durch das Tragen eines Brustgeschirrs
ebenfalls unbelastet. Das Tragen eines Halsbandes dagegen belastet beides sehr
stark. Durch den Zug des Halsbandes werden sowohl der Kehlkopf, als auch die
oberen Atemwege beeinträchtigt, Kehlkopfquetschungen sind leider gar nicht so
selten. Die einzige Möglichkeit für den Hund, Kehlkopf und Atemwege freizuhalten,
besteht darin, die Halsmuskulatur stark anzuspannen und so das Halsband durch
die Muskulatur von diesen Organen fernzuhalten. Klinische Studien haben ergeben,
dass die dadurch entstehenden Verspannungen in der Halswirbelsäule zu der
gleichen Symptomatik wie beim Menschen führen: Kopfschmerz, Schwindelgefühl,
Schmerzen in der Wirbelsäule oder ähnliches. Im Gegensatz zu uns kann der Hund
sich jedoch nicht mitteilen, er kann uns nicht sagen: “Heute ist mir schwindelig und
ich habe Kopfweh.” Dieses beständige Unwohlsein und die andauernden Schmerzen
sind oft für aggressives Verhalten verantwortlich.
3. Der Hals als soziales Organ des Hundes sollte vor unnötigen Einwirkungen
geschützt werden. Der Hals spielt in der taktilen Kommunikation der Hunde eine
wesentliche Rolle: Berührungen an der Oberseite des Halses drücken in der Hunde-
sprache Dominanz aus. Berührungen an der Unterseite des Halses dagegen Sub-
dominanz/Unterwerfung. Die Seitenpartien des Halses sind nur ganz guten Freunden
vorbehalten (Pflegeverhalten). Der Hals ist auch bei uns Menschen eine sehr empfind-
liche Körperpartie und Berührungen am Hals sind etwas sehr Intimes. Denken Sie
nur an den Ausspruch: Bleib mir bloß vom Hals." Trägt der Hund ein Halsband,
stumpft die Empfindsamkeit für diese Signale ab, da der Hund praktisch ständig
irgendwo am Hals Impulse erhält. Vielleicht erklärt dies auch die oftmals entsetzte
Reaktion eines Welpen, der zum ersten mal ein Halsband umgelegt bekommt.
4. Diesen recht unangenehmen Auswirkungen durch das Tragen eines Halsbandes
versucht der Hund sich oftmals zu entziehen. Wodurch versucht er das? Durch
Flucht nach vorn und so entsteht das Ziehen an der Leine. Viele Menschen ver-
suchen nun dem Hund durch Leinenruck dieses Ziehen abzugewöhnen. Der unan-
genehme Leinenruck wird vom Hund, da er einen Impuls an der Halsunterseite
bekommt, als plötzlicher Angriff angesehen und löst so eine erneute Fluchtreaktion
aus. Häufig gibt es aus diesem Kreislauf kein Entkommen mehr. Durch das Tragen
eines Brustgeschirrs wird dieser unangenehme Druck vom Hals des Hundes genom-
men. Bei ca. 20% der Fälle gibt sich das Ziehen durch das Tragen eines Brustge-
schirrs von ganz allein, mit dem entsprechenden Programm zur Leinenführigkeit ist
dem Hund das Ziehen an der Leine auch ohne Leinenruck abzugewöhnen.
5. Das Tragen eines Brustgeschirrs birgt noch weitere Vorteile. Durch den auf dem
Rücken liegenden Steg können Sie den Hund viel besser und schneller festhalten.
Dieser Griff ist, besonders bei langhaarigen Hunden, viel besser zu erreichen als ein
Halsband das irgendwo im dichten Fell liegt. Für den Hund ist das Halten am
Rückensteg ebenfalls viel angenehmer. Verletzungen an der Hand des Hundehalters
durch einen sich im Halsband windenden Hund werden vermieden.