Hallo,
ich bin ja neu hier und habe noch gar keinen eigenen Hund. Ich erzähle trotzdem mal meinen Erfahrungen:
Vor über 30 Jahren haben wir einen Gebraucht-Schnauzer adoptiert. Er bzw. sie musste dringend weg, weil sie sich nicht mit dem "neuen" (Berner Senn) anfreunden konnte. Auch wenn die Vorbesitzer zur entfernten Verwandschaft meiner Mutter gehörten, habe ich schon als Kind sofort gedacht, dass das total bescheuerte Leute sind... Sie haben sich immer einen gerade modischen Hund angeschafft und waren natürlich mit einem Schnauzer völlig überfordert. Das Tier wurde kaum Gassi geführt, schließlich gehörte ein großer Garten zum Haus und da wurde die arme Schnüffel (natürlich hieß sie eigentlich Hildegard von... - ich weiß leider nicht mehr, aus welchem Zwinger, aber sie hatte eine angeblich beeindruckende Ahnentafel) einfach alleine rausgeschickt. Und wenn sie nicht tat, was sie sollte, wurde sie geprügelt. So richtig. Die arme Nase war völlig verängstigt. Egal, was wir in die Hand nahmen: sie kroch winselnd rückwärts auf dem Bauch unter das Sofa o.ä.
Natürlich merkte sie bald, dass wir Hunde nicht schlagen. Seitdem gehorchte sie nicht mehr aufs erste Wort. Meistens eher auf das dritte oder fünfte
. Aber sie schloss sich extrem meiner Mutter an. Wie ein echter Schnauzer eben. Es war ein toller Hund. Kinderlieb, verspielt, verschmust - und sehr wachsam. Sie kläffte sich im Hof die Seele aus dem Leib, wenn jemand vorbeiging. Leider war damals Hundeschule und ähnliches nicht wirklich vorhanden. Und ich weiß heute, dass wir an manchen Stellen anders hätten vorgehen sollen. Trotz dieser Defizite bei uns und trotz fehlender sinnvoller Beschäftigung (lange Spaziergänge mit gelegentlichen Hasenjagden, Spiel- und Toberunden mit uns Kindern und dem Verbellen unschuldiger Passanten natürlich) war sie ein absolut toller Familienhund mit akzeptablen Lücken im Gehorsam.
Als ich älter wurde, auch die morgendliche Gassirunde vor der Schule übernahm und meine Mutter wieder arbeiten ging, übertrug sie die Anhänglichkeit an meine Mutter auf mich. In sofern war sie sicher opportunistisch. Sie litt aber enorm darunter, dass sie jetzt sechs Stunden alleine bleiben musste und sch... direkt hinter die Eingangstür, so dass wir es beim Reinkommen schön breit schmieren. Sie war auch früher schon, teilweise sogar länger allein geblieben. Sie jaulte immer, aber diese Überraschungen gab es erst, als das Alleinsein die arbeitstägliche Routine wurde. Das war ein Hilferuf und deshalb haben wir schweren Herzens ein neues Zuhause für sie gesucht. Dort wurde sie sicher heiß und innig geliebt, völlig überfüttert, aber sie hatte noch weniger sinnvolle Beschäftigung. Sie war dort sofort wieder stubenrein und konnte wieder allein bleiben. Sie passte sich an, hatte aber keine so enge Bindung mehr.
Wenn wir besser über ihre Bedürfnisse informiert gewesen wären, hätten wir sicher eine andere Familie gesucht. Sie eignen sich nicht als Schoßhunde, die Dickköpfe. Dennoch war sie dort alles in allem sicher besser aufgehoben. Ich würde behaupten: in den meisten Fällen können sich gerade Hunde wirklich gut anpassen und das Beste aus der Situation machen. Es ist unsere Aufgabe als Halter, die beste Situation für das Tier zu schaffen und zu akzeptieren, dass die Vergangenheit nicht ausgelöscht wird. Jedoch ist die Fähigkeit der Vierbeiner, trotz der Prägung durch vergangene Erfahrungen, weder in der Vergangenheit "zu schwelgen" noch von einer anderen Zukunft zu träumen, hilfreich dabei, sich anzupassen.
Ich hatte auch bisher immer Gebraucht-Katzen und -Hasen. Und meine derzeitige Siamesin (auch eine sehr eigene Rasse unter den Katzen: sehr, sehr intelligent, äußerst agil und extrem sozial und anhänglich) wurde im Tierheim als unverträglich und menschenscheu unter "Notfälle" geführt. Sie war bereits einmal vermittelt: zu einer Familie mit drei Perserkatzen (nichts gegen diese, aber es sind "explodierte Sofakissen" und waren sicher nicht erfreut über ihr Bedürfnis nach Kontakt und wilden Spielrunden) und einem kleinen Hund. Mit letzterem verstand sie sich, aber die Besitzer brachten sie zurück, weil es mit den Persern einfach nicht funktionierte. Sie zog sich in sich zurück. Als ich kam, lag sie im Katzenzimmer ganz für sich oben auf einem Brett und die Pflegerin sagte: sie ist eben sehr scheu. Was soll ich sagen: sie kam zu mir, sprang auf meine Schoß, rollte sich zusammen und schlief wohlig schnurrend ein. Sie hatte wirklich schlechte Erfahrungen: sie wurde als Gebährmaschine (sie hatte mit gerade mal ca. 15 Monaten bereits zwei Würfe) missbraucht, mit 17 weiteren mehr oder weniger reinrassigen Siam-Katzen in einem Kinderzimmer gelebt, bis das Amt die "Zucht" auflöste und sie alle ins Tierheim verbrachte. Dann das Intermezzo mit den Persern und wieder Tierheim ohne echten Anschluss, aber mit lauter Katzen, die keine Orientalen waren. Chronischer Katzenschnupfen und Futterallergie sind auch nicht schön. Sie rupfte sich aufgrund des Juckreizes das Fell aus und in Stresssituation oder wenn sie gefrustet ist, macht sie das immer noch. Trotzdem ist sie durch und durch Siam und ist hier völlig zuhause. Mit dem Tick müssen wir leben, aber ansonsten merkt man ihr die früheren Erfahrungen nicht mehr an. Jeder Mensch ist als Schmuser und vor allem als Dosenöffner willkommen (ihr Sternzeichen ist Staubsauger)m wenn sie "kätzisch" sprechen. Bei meiner Mutter war sie während meines Urlaubs gut untergebracht, aber ist dort nicht heimisch gewesen. Ja, sie fraß normal, spielte auch, schmuste gerne, war also eigentlich ganz Katze - aber rupfte sich dauernd. Und sie war ganz offensichtlich froh, als ich zurückkam. Selbst nach einer vierwöchigen Fortbildung, war sie nicht richtig ankommen dort. Wenn Mutter zu mir kommt, ist Katz den ganzen Nachmittag bei ihr zum Schmusen. Aber dort leben will sie nicht, wenn sie die Wahl hat, auch bei mir zu leben.
Beide, Hund und Katze, können sich auch in nicht mehr ganz so optimalen Familien einfügen, wenn ihre Bedürfnisse artgerecht erfüllt werden. Dennoch können sie eine einmalige Verbindung zu "ihrem" Menschen nicht einfach übertragen. Meiner Meinung nach, sind die Tiere dennoch "glücklich" im neuen Zuhause. Wenn jedoch "ihr" Mensch wiederkommt, können sie auch sofort wieder umschalten. Die Erinnerung bleibt. Genauso wie die Erinnerung an schlechte Erfahrungen. Ich glaube aber, dass sie nur in den gleichen Situationen, bei denselben Menschen wieder aktiv werden. Tiere können sich - meiner Meinung nach - nicht ohne äußeren Trigger erinnern.
Aufgrund meiner Erfahrungen möchte ich auch jetzt wieder einer gebrauchten Fellnase in Form eines Schnauzers eine neue Chance auf ein zufriedenes Leben geben. Es mag auch irgendwann der Punkt kommen, an dem ich meine Tiere selbst vermurksen möchte
und mal einen Welpen direkt vom Züchter hole. Ich glaube aber, dass es ebenso ein besonderes Erlebnis ist, ein Tier mit Vergangenheit aufzunehmen und dessen Entwicklung mit zu erleben und zu gestalten.
LG
Hasine