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1

Samstag, 25. April 2009, 20:29

Stille Katastrophe. 26.04.1986

Am 26. April 1986 um 6 Uhr morgens saß ich im Flugzeug von Kiew nach Tiflis, Georgien. Ich war 21 Jahre alt und studierte im 8. Semester Germanistik in Kiew. Eigentlich habe ich mit meinen Kamelietonen wie jedes Jahr eine Wanderung in der Nähe von Pripjatj geplant, aber meine Eltern schenkten mir ein Flugticket nach Tiflis, wo ich früher gelebt habe und viele Freunde hatte. Das war mein Glück, weil diese Wanderung im Wald von Tschernobyl stattfand.

Die Zeit in Tiflis verlief zunächst fröhlich und sorglos, bis eine georgische Freundin mich fragte, ob es wahr sei, dass eine Atombombe auf Kiew abgeworfen wurde. Die Frage hielt ich für einen schlechten Scherz. Beunruhigt durch diverse Gerüchte rief ich meine Mutter an. Sie konnte mir nichts Genaues sagen, flehte mich nur an, mein Studium an der Tifliser Staatsuniversität und nicht mehr in Kiew fortzusetzen. Ich solle in Georgien bleiben und auf keinen Fall zurück fliegen.

Trotz der Warnungen meiner Eltern flog ich am 7. Mai zurück nach Kiew, die 120 km von Tschernobyl entfernt ist. Im Flugzeug saßen nur zehn Passagiere. Kiewer Flughafen war voller Menschen. Man hörte das Weinen von Kindern, Beschimpfungen der verzweifelten Eltern bei erfolglosen Versuchen Flugzeugtickets zu kriegen. Die Richtung spielte keine Rolle, es zählte nur eins - raus aus dieser Stadt, möglichst weit weg… Eine alte Frau schaute mich an und sagte zu mir: “Kindchen, was machst du, bist du verrückt nach Kiew zu kommen. Gucke dir das an, alle wollen nur raus aus dieser verseuchten Stadt! Wie im letzten Krieg…“ und weinte.

Die Stadt wirkte auf mich gespenstisch. Im Zentrum waren überall Feuerwehrmaschinen zu sehen, die Häuser und Straßen mit Seifenlauge besprühten. Kiew war wie immer im Frühling besonders schön, aber in diesen Tagen wirkte diese Schönheit unheimlich. Unzählige Parks und Gärten standen in voller Pracht, Duft blühender Flieder herrschte in der Luft. Aber die Parks, Kinderspielplätze, Straßen waren ohne Menschen, man hörte und sah keine spielenden Kinder, keine Hunde, kein Vögelsingen. Die Stadt mit fast 3 Millionen Einwohnern war wie ausgestorben. Alle, die es konnten, haben die Stadt verlassen. Die, die zurück bleiben mussten, waren „Geiseln von Tschernobyl“, die trotz Störungen versucht haben „Stimme des Feindes“ zu hören: Deutsche Welle, Stimme Amerikas, BBC. In sowjetischen Medien hielten Politiker und parteitreue Wissenschaftler beruhigende Reden. Dabei wussten alle, dass die Parteichefs ihre Kinder und ihre Familien schon längst in Sicherheit gebracht hatten. Zur selben Zeit waren die Krankenhäuser überfüllt mit Kindern, den ihre panische Eltern zu viel Jod sogar in flüssiger Form gegeben haben, und mit schwangeren Frauen, die ihre ungeborene Kinder wie auf einer Fließband abtrieben. Es fehlten Anästhesiemittel. Abtreibungen wurden oft unter örtlichen Narkose durchgeführt in einem OP-Saal, wo bis zu 6 gynäkologischen Sessel standen und mehreren Frauen gleichzeitig wurden ihre Träume abgetrieben...

Im Dezember 1987 habe ich als Dolmetscherin eine deutsche Delegation in die onkologische Abteilung eines Kinderkrankenhaus begleitet. Da es auf der Krebsstation nicht genug Betten gab, hat man Abteilung der Unfallmedizin für die krebskranke Kinder zur Verfügung gestellt. Wenn man das einmal gesehen hat, wird es nie vergessen: überall Kinder, jeder Altersgruppe, mit von Hormonbehandlung geschwollenen Gesichtern, kahl rasierte Köpfe... Gefragt nach seinen Weihnachtswünschen guckte uns ein dreijähriger Junge mit seinen großen Augen eines alten Menschen, der viel Leid gesehen hat, an und sagte: „Die Spritzen sollen nicht so weh tun.“ Erst da habe ich angefangen zu verstehen, dass diese Katastrophe noch lange Opfer fordern wird. Seitdem habe ich einen Weg gesucht, um diesen Kindern, und vielen die danach kamen zu helfen. Inzwischen seit 14 Jahren bin ich als ehrenamtliche Dolmetscherin für die Stiftung „Kinder von Tschernobyl“ des Landes Niedersachsen tätig. Ich begleite Delegationen der Stiftung nach Weißrussland und in die Ukraine. Auch diese Reisen bestätigen, dass diese Katastrophe noch lange nicht zu Ende sei.


Der Tschernobyl GAU - eine stille Katastrophe. Als es passierte gab es keine beeindruckende Bilder vom Brand und Menschen, die mit primitivsten Mitteln gegen den unsichtbaren Feind, Radioaktivität, kämpften. Es gab keine Filmaufnahmen, die rund um die Welt gingen und Herzen der Menschen auf der ganzen Welt berührten. Es gab Vertuschungen, Lügen, Geheimhaltung und gezielte Fehlinformation, zuerst im Osten, später und bis heute auch im Westen. Eine stille Katastrophe, die die Gesundheit und das Leben Hunderttausender ruiniert und Ihrer Heimat beraubt hat. Hunderttausende mußten ihre Häuser verlassen und konnten nichts mitnehmen, vor allem mußten sie ihre Haustiere (Hunde, Katzen...) zurücklassen. Über dieses Kapitel der Tragödie könnte ich noch einiges euch erzählen und das mache ich, wenn Interesse bestehen sollte.

Das sind einige Fotos, die ich während meiner Reisen in die Sperrzone gemacht habe.
Ich vor dem Sarkophag, der langsam auseinander bricht.


Pripjatj, Vergnügungspark sollte am 01. Mai 1986 offiziell eröffnet werden. Es kam nie dazu.


Pripjatj, Kindergarten


Kinderspielplatz






Katyken

unregistriert

2

Samstag, 25. April 2009, 20:42

Hallo Lara,

ich war 1986 auch 21 Jahre alt und kann mich noch daran erinnern, dass langsam Informationen durchsickerten, Berichte kamen, aber alles war nicht so schlimm....
i
Du warst quasi mittendrin....- ich glaube gern, dass sich diese Zeit und diese Bilder für immer in dein Gedächtnis gebrannt haben....

Guddi

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3

Samstag, 25. April 2009, 20:57

Hallo Lara.....

ich war zu der Zeit zu einem Fest in der Rheinaue in Bonn.
Hier waren Himmel und Menschen und gegen 14.00 mittags verkrümelten sich plötzlich alle Einsatzwagen des THW und die der Feuerwehr, so daß das Publikum sich fragte, was wohl los sei........ Am Abend in den Nachrichten erfuhren wir dann, was passiert war!
Gleichzeitig wurden wir über das Fernsehen darüber informiert, das die Wetterlage so war, daß die Wolken von der UdSSR in Richtung Westen zogen......... :?:

Ich glaube im Nachhinein, wenn das den Menschen während ihrer Feier bekanntgewesen wäre, hätte es evtl. ein Massenpanik gegeben. :?:

Schlimme Sache war das........
Erinnert an "The day after" :( oder an "Die letzten Kinder von Schewenborn"
von 1983 -war schon sehr realistisch geschrieben.........
Signatur von »Guddi« LG Guddi
Benni für immer im Herzen

in lieber erinnerung an meinen benni..............
http://bennisgeschichten.npage.de

DP-Maus

unregistriert

4

Samstag, 25. April 2009, 20:59

Hallo Lara !

Wow, ich habe gerade Gänsehaut von Deiner Geschichte und den Bildern bekommen.

Ich kann mich auch noch sehr gut daran erinnern. Leider ist es bei dieser Katastrophe so, dass sie nach Jahren in den Köpfen der Menschen verblasst, aber die Nachwirkungen sind extrem und es dauert ewig bis die furchtbaren Folgen der unsichtbaren Zerstörung verblassen.

LG Sonja

Charlie

unregistriert

5

Samstag, 25. April 2009, 21:04

Hallo Lara,
vielen Dank für deinen Bericht -:- Ich war damals 6 Jahre alt, habe das ganze also nicht wirklich mitbekommen. Es ist interessant darüber etwas zu erfahren von jemanden der das damals und auch heute noch miterlebt hat und nichts versucht schön zu reden.

Nico

Junior

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6

Samstag, 25. April 2009, 21:10

Ich habe gestern Abend noch einen Berich über die "Geisterstadt" jetzt nach 20 Jahren gesehen und da wurde auch das Riesenrad gezeigt das auf deinem Foto ist. Es ist ganz schön erschreckend wenn man diese Bilder von der riesen Stadt sieht, die komplett verlassen ist.

Ansonsten kann ich nicht nicht wirklich daran erinnern, ich war erst zehn.
Signatur von »Nico« - LG von Silke mit Boxermädchen Ruby an meiner Seite und Etienne und Nico in meinem Herzen-
**Träume nicht dein Leben, lebe deine Träume**

7

Samstag, 25. April 2009, 21:26

Hallo ihr lieben,
ich finde es wichtig, dass diese Tragödie nicht in Vergessenheit geriet. Deswegen erzähle ich das auch euch.
Guddi, Katy,
ich finde es interessant, wie man das hier Tausende km von Tschernobyl enfernt diese GAU erlebt hat. Eventuell können auch andere Portaler darübe berichten. Auch in Deutschland haben sich Mütter Sorgen um ihre Kinder gemacht (Freunde von uns haben sogar Trockenmilch gelagert und ihren Kindern gegeben). Auch heute sollte man keine Pilze in Südschweden sammeln. Auch heute sollte man kein Wildschwein in Bayern essen.
Sabrina, Nico,
ihr seid damals Kinder gewesen und habt das nicht bewusst erlebt. Ich wünsche euch und allen, dass sie so was nie erleben. Wer hat den Film „Die Wolke“ gesehen, hat ein schreckliches Szenario einer Atomkatastrophe vor Augen gehabt. In Wirklichkeit ist das tausendmal schlimmer und mit menschlichem Verstand nicht zu begreifen.
Es war ein unglaubliches Gefühl, als ich die Todeszone besuchte. Ich habe geweint und hätte am liebsten laut geschrieen. Warum? Warum? Eine Frage, die man sich immer stellt, wenn ein nahstehender Mensch zu früh uns verlässt, eine Frage, auf die man nie eine Antwort bekommt. Das ist mein Land und es ist einfach tot...

8

Samstag, 25. April 2009, 21:28

Im Bezug auf Tschernobyl gab es angeblich eine Profizeihung.
Viele Gläubige in der Ukraine und Weißrussland sprechen von einer in Erfüllung gegangenen Apokalipsis-Prophezeiung. Der Name Tschernobyl hat zwei Bedeutungen: 1. Schwarze Sage, 2. Wermut = Beifuss.
Ob es stimmt oder nicht, kann ich nicht sagen. Ich weiß nur, dass wir damals ein ganz unheimliches Gefühl beim Lesen diesen Zeilen hatten.

Offenbarung des Johannes oder Apokalypse in neuem Testament
Kapitel 8, Verse 10 und 11
Der dritte Engel blies seine Posaune. Da fiel ein großer Stern vom Himmel; er loderte wie eine Fackel und fiel auf ein Drittel der Flüsse und auf die Quellen. Der Name des Sterns ist „Wermut“. Ein Drittel des Wassers wurde bitter und viele Menschen starben durch das Wasser, weil es bitter geworden war.


Sabimopa

unregistriert

9

Samstag, 25. April 2009, 22:01

Ich schäme mich fast das zu schreiben....1986 war ich 26 Jahre und habe keinerlei Erinnerungen an diese Katastrophe, obwohl es doch ganz sicher quer durch die Medien gegangen ist ;(

10

Samstag, 25. April 2009, 22:12

Liebe Sabine,
du brauchst dich deswegen nicht zu schämen. Ich kenne viele auch in Russland, die damals nur am Rande was mitgekriegt haben.
Dass in Westdeutschland über diese Katastrophe damals berichtet wurde, ist mir bekannt. Aber wie war's in der damaligen DDR? Eventuell gab es dort auch wie in der Sowjetunion nur sperrliche Information.
Das erste Mal wurde bei uns erst paar Tage später berichtet. Am 29. April erschien ein winziger Artikel auf der zweite Seite der Zeitung „Prawda“ : Es hätte eine Havarie im Atomkraftwerk Tschernobyl gegeben. Einige Feuerwehrleute hätten Verbrennungen erlitten. Das Feuer ist unter Kontrolle. Es bestehe keine Gefahr für die Bevölkerung. :m:

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